Christoph von Dohnanyi

Gottfried von Einem

In den frühen Sechziger Jahren war ich zu Gast in Baden-Baden beim Südwestfunkorchester. Heinrich Strobel, in der Nachkriegszeit ein bedeutender Mentor zeitgenössischer Musik und Leiter der Musikabteilung des SWF, hatte mich eingeladen. Er machte mich bekannt mit Rolf Liebermann, der wiederum war es, der mir an’s Herz legte, die Musik Gottfried von Einems kennenzulernen. Ich wusste und kannte natürlich einiges von diesem Komponisten, hatte mich aber noch zu wenig mit seiner Musik beschäftigt.

Der Verlag schickte auf meine Bitten einige Partituren und wieder war es „Danton“, der mich faszinierte. Das großartige Werk habe ich in Lübeck, wo ich seit 1957 Generalmusikdirektor war, aufgeführt. Weil ich zu dieser Zeit – Rudolf Gamsjäger war der Direktor des Wiener Musikvereins – in Wien einige Konzerte dirigierte, kam auch bald ein persönliches Gespräch mit Gottfried von Einem in Wien zu Stande. Er war zu der Zeit schon eine zentrale Figur des Wiener Musiklebens und weit darüber hinaus von großem Einfluss. Immer wieder traf man sich und es war für mich besonders erfreulich, dass es fast nie ausschließlich um Musik ging bei den Gesprächen mit diesem sehr ungewöhnlichen Mann. Er war ein sehr gebildeter und energischer Mensch. Sicherlich nicht ganz einfach für diesen oder jenen. Hochintelligent hatte er viel Humor, Bissigkeit und sehr viel Wissen, eben nicht nur in unserem Metier. Ich mochte ihn. Als später Gamsjäger zum Direktor der Wiener Staatsoper ernannt wurde, kam die Idee auf, eine neue Oper von Gottfried von Einem herauszubringen. „Kabale und Liebe“ war im Werden. Otto Schenk sollte inszenieren, ich sollte dirigieren und für Günther Schneider-Siemssen entschied man sich als Bühnenbildner. Im Dezember 1976 war die Uraufführung. In den Gamsjägerjahren habe ich viel an der Staatsoper dirigiert. Die erste szenische Aufführung von Moses und Aron mit Götz Friedrich als Regisseur war eine der großen Herausforderungen. Ich dirigierte damals auch Meistersinger, Lulu, Parsifal, Salome oder Die Zauberflöte an der Staatsoper.

Viele Wochen Wien waren damit verbunden. Gottfried von Einem wurde, je näher „Kabale“ rückte, natürlich immer präsenter. Es hat viel Freude gemacht, als dann die Probenarbeit begann, mit diesem besonderen Mann zusammenzuarbeiten. Er bewies immer wieder, wie wichtig es doch für Opernkomponisten ist, auch vom Opernbetrieb etwas zu wissen. Gottfried von Einem hat in jungen Jahren als Korrepetitor an der Staatsoper Berlin und Bayreuth gearbeitet. Von der Pike auf hat er Oper gelernt. Das und sein unglaublich guter Instinkt für starke Opernlibretti sind, neben der Musik auch Grund dafür , dass seine Opern – fast alle – große Erfolge beim Publikum sind und nicht allzu schwer in einen Opernrepertoirebetrieb integrierbar bleiben.

Die „ewig“ Neuen haben es ihm nicht leicht gemacht und wenig Verständnis dafür gezeigt, dass es auch Platz für konservativ-fortschrittliche Komponisten geben muss. „Neu“ als solches ist für keine Kunst eine gültige, entscheidende Kategorie. Von Richard Strauss wird gesagt, er habe, gefragt, ob es ihn nicht belaste, dass er immer wieder als zu wenig „modern“ eingeordnet würde – geantwortet: „Betonen Sie das Wort „modern“ mal anders!“ Gottfried von Einem war kein Vertreter des Forstschrittes partout, aber auf großer Tradition aufbauend ein unübersehbarer Faktor im Musik- und Opernbetrieb der Nachkriegszeit. Ein Heinrich Strobel hätte ihn nicht in seiner Nähe geduldet, wenn er in ihm nicht einen Mann mit wesentlicher Bedeutung auch für die Entwicklung der Neuen Musik, gesehen hätte. Von Einem war dieser Musik gegenüber durchaus aufgeschlossen. Er selbst stand allerdings als Komponist fest auf „tonalen“ Füssen. Ich erinnere eine kleine Episode während der Proben zu „Kabale“.

Das Orchester hatte einige Mühe mit einer Cis-Dur Passage und verhielt sich sperrig. Sätze wie, das kann man doch auch in Des-Dur notieren (weniger Vorzeichen) kamen da aus dem Graben. Unruhe mit falschen Noten verbunden. Von Einem wanderte ruhig vom Regiepult in die erste Reihe des Zuschauerraumes, lehnte sich über die Brüstung zum Orchestergraben und sagte: „Meine Herren“, – Damen gab es damals noch nicht im Orchester der Wiener Staatsoper – „das Cis-Dur habe ich von Johann Sebastian Bach gelernt.“ Nach ein paar „Ahas“ und „Sosos“ oder Ähnlichem war klar, man musste sich mit Cis-Dur abfinden. Der Protest verdampfte. Gottfried von Einem ist bis heute im Wesentlichen als Opernkomponist bekannt. Seine Konzertliteratur, eine Menge Musik, wartet; hat es schwerer. Im Konzertbetrieb gehen die Uhren anders. Andere kleinere „Kreise“ spielen da die Rolle des Richters. Was „bleibt“, „verschwindet“, oder „wiederkommt“ oder für „tot“ erklärt wird, ist oft modebestimmt. Was überwintert wird die Zeit ergeben. Henze, von einigen Kollegen in Donaueschingen seinerzeit für tot erklärt, ging nach Italien und brauchte sich fortan nicht damit zu beschäftigen, ob seine Musik „bleibt“!

Jedenfalls hat er nicht erlebt, dass sie nicht gespielt wurde. Toleranz ist im Deutschen ein Fremdwort. In der Kunst – und vielleicht muss das sogar so sein – allzumal. Was hat doch Hugo Wolf über die 4. Symphonie von Brahms gedacht und geschrieben. Man darf diesem Fremdwort nicht in die Falle gehen, wie so viele im Deutschland der Dreißiger Jahre. Da war Nazi-Terror, da waren Verbrecher. Da waren aber auch die zahllosen, die politisch ahnungslos, zunächst hofften, dann glaubten, tolerant sein zu müssen, die Augen abwandten, mitliefen, um sich schließlich in die Katastrophe verführen zu lassen. Auch in Österreich haben in dieser Zeit nur wenige zur rechten Zeit „Nein“ gesagt. In seiner Jugend Assistent bei Tietjen in Bayreuth später befreundet mit Werner Egk, beide alles andere als Widerstandskämpfer in der dunkelsten Zeit Deutschlands, hielt er standhaft zu Freunden und rettete jüdische Menschen vor schwachsinnig, verbrecherischer Verfolgung durch die Nazis. Das ehrt ihn. 2002 zeichnet Yad Vashem Gottfried von Einem als einen „Gerechten unter den Völkern“ aus.

Christoph von Dohnányi
(deutscher Dirigent)