Der Componist des Feuers

„Meine Glut“, schrieb Paul Klee 1916 in sein Tagebuch, „ist mehr von der Art der Toten oder der Ungeborenen“. Und auf seinem Grab steht, auch aus seinem Tagebuch: „Diesseitig bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne gerade so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.“

Gottfried von Einem, der den Maler Klee über alles liebte, hat diese Stelle im Exemplar seines Buches dick unterstrichen. Und tatsächlich könnte man ihn selbst nicht besser beschreiben. Er war ein Componist des Feuers! Aber dieses Feuer brannte in der Unterwelt, aus der er wie Orpheus seine Musik holte, immer auf den Spuren der Eurydike, seiner ersten früh verstorbenen Frau.

Wie schon Heraklit wusste, sind Hades und Dionysos eins. Und so war Orpheus von Einem in der oberen Welt voll leidenschaftlichen Lebens, wild, lustig, und er trieb so gern Späße und Schabernack. Er hielt Vulkane für seine Brüder und kletterte einmal zu meinem Entsetzen in den Ätna hinein. Wie dieser brach er manchmal aus und spie Feuer, dann war er zum Fürchten. Bis er mitten im Feuerspeien zu lachen anfing. Er lachte so gern, besonders über sich selbst. Und er wäre, wie er mir anvertraute, ein Bär. Nicht ein in einen Bären verwunschener Mensch, oh nein! Gottfried von Einem war ein in einen Menschen verwunschener Bär.

Ein Bär mit Flügeln, auf denen er in viele Welten flog. Er sah das Unsichtbare, hörte das Unhörbare, und Einsichten leuchteten wie Blitze in ihm auf. „Grenzerfahrungen, die immer häufiger wurden“, schreibt er in seiner Autobiografie, „haben mich dazu gebracht, den Übergang in den Tod nicht zu fürchten. Lotte und ich hatten wunderbare Erlebnisse übersinnlicher Art. Wahrscheinlich gehört absolute Stille dazu. Ich habe in den Nächten höchst Merkwürdiges erfahren. Klänge, wirklich nicht von dieser Welt. Tod-Leben-Liebe, das ist das Geheimnis unseres Seins. Ich weiß, was mir bevorsteht, und das ist etwas Wunderbares. Der Mensch ist ja nur ein kleines Teilchen dessen, was existiert. Es gibt Tiere, Pflanzen, Menschen, und wenn ich sterbe, geschieht etwas, das mich in eine andere Funktion bringt. Ich bin Teil von etwas Größerem. Ich bin nicht verloren, aber auch nicht mehr ich selbst.“

Das war er schon lebendigen Leibes nicht mehr. Mit den Mächtigen dieser Welt in Freund- und Feindschaft verbunden, ließ er plötzlich den ganzen struggle for life der Kunst zurück und zog in ein kleines Holzfällerhaus mitten im Wald. In Sankt Kringel, wie er Rindlberg liebevoll nannte, lebten wir fünfundzwanzig Jahre lang in Nebel und Moor. Auf Magma, von dem er besessen war, und dem Stein des Feuers, Granit. Ganze Generationen von Katzen zogen durch unser Leben. Musikologen werden ihre Spuren in Gottfrieds Opern und Liedern finden. Sechs Schafe. Gülnare hieß das erste, das uns der Abt von Stift Zwettl schenkte, für das Gottfried später eine Messe schrieb. Ein Ziegenbock, Sir Alfons das Kaninchen und die kleine Taube Elfriede Pipsian.

Er verschenkte seinen Frack, seine Hemden und Krawatten, und seine Orden fand er im schöpferischen Chaos sowieso nie. Jeans und Pullover, Mahlzeiten von rührender Bescheidenheit. Luxus wurde eine fremde Vokabel.

Am liebsten komponierte er nachts, den Mond im Fenster und nur Stille und das Rauschen des Waldes im Ohr. Allmählich wurde unser Haus von fremdem Leben erfüllt, und die Welt hinter dem Schleier erschien. Er verstand die geheime Sprache der Tiere, für die er ein Requiem schrieb: „Allen geschundenen Kreaturen dieser Erde gewidmet.“

Und er wurde hellsichtig. Nicht im praktischen Leben. Da hat er die gegen ihn gerichteten Intrigen nicht durchschaut. Er war oft ein Betrogener und nie ein Betrüger. Aber er begann, die Musik der Sphären zu hören, Tote zu sehen, und die Materie wurde langsam durchsichtig für ihn. Am Anfang wehrte er sich dagegen, wie vielleicht die letzten Kriechtiere sich gegen die Luft gewehrt haben, ehe sie Vögel wurden und flogen. Später erkannte er: „Das steht mir zu!“

Biologen erwarten die evolutionäre Transzendenz und metanormale Entwicklung der Menschheit, die Verwirklichung ihres größeren Potentials. Gottfried hat diese Erwartungen bereits erfüllt. Während er sich, zögernd zuerst und dann immer tiefer, der Kammermusik zuwendete, verlor er seine Grenzen. Einmal, am geliebten offenen Kaminfeuer, bekannte er: „Es gibt kein Ich, keine Zeit, keinen Tod.“ In Oberdürnbach, wo er zuletzt lebte, hörte er Melodien, für die es keine Noten gibt. „Ich würde gerne noch die Musik des Todes schreiben“, sagte er. „Licht in Musik verwandeln und Musik in Licht.“ Er ging mit einem Lächeln. MELOS UND LOGOS heißt das Fest, das wir jeden Sommer dort für ihn feiern.

Lotte Ingrisch
(zweite Ehefrau des Komponisten, österreichische Schriftstellerin, Librettistin)